Manchmal möchten wir am Boden liegen bleiben, wenn das Schicksal uns einen so harten Schlag versetzt, dass unsere Hoffnung schwindet. Die blinde Moderatorin Dörte Maack zeigt, wie man dennoch wieder aufsteht.
Mehr als 2.500 Menschen warten im Hamburger Theater am Großmarkt gespannt auf ihren Auftritt. Langsam, jeden Schritt sorgfältig geplant, betritt Dörte Maack die Bühne. Und sie hat noch jemanden mitgebracht: ihre Blindenhündin Lila platziert sich artig und völlig entspannt zu ihren Füßen. Dann legt sie los, die blinde Moderatorin, Trainerin und ehemalige Akrobatin. Mit ihrer bewegenden Lebensgeschichte zieht sie das Publikum in den Bann. Hier und da muss ein eilig hervorgeholtes Taschentuch die Tränen der Rührung in den Augen trocknen. Am Ende gibt es stehende Ovationen für eine mutige Frau, die aus Trümmern ein Schloss gebaut hat.
Szenenwechsel: Bei strahlendem Sonnenschein haben wir es uns auf Dörtes Terrasse vor einem malerischen Bambus bequem gemacht. Coach, Trainerin, Moderatorin, Speakerin, Artistin – das Repertoire meiner Gesprächspartnerin ist bemerkenswert.
„Als ich noch sehr jung war, wollte ich ganz Vieles: Journalistin, Barbesitzerin, Poetin, Zirkus- und Straßenkünstlerin werden.“ verrät mir Dörte. „Tatsächlich bin ich zunächst Straßenkünstlerin geworden mit Auftritten in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien.“ Auf einer Zirkustheaterschule im englischen Bristol hat die Künstlerin dann unter anderem ihre Fähigkeiten am Trapez perfektioniert; und das ganz ohne Netz. „Was ist eigentlich, wenn wir fallen?“ hat sie ihre Ausbilderin Helen gefragt. „We do not fall!“ Fallen ist keine Option – so einfach ist das.
Mit 22 Jahren gründet Dörte die Kirschkern Company und begeistert ihre Zuschauer mit Artistik und Comedy. Aus Freude an der Bewegung schreibt sie sich dann noch für ein Sportstudium ein. Bei ihren Jonglierübungen fällt ihr selber auf, dass sie die Bälle und Keulen erst sehr spät in ihrem Gesichtsfeld wahrnimmt und das ärgert sie. Irgendetwas stimmt da nicht! Im Alter von 25 Jahren sucht sie ihren Augenarzt auf und lässt sich untersuchen. Beim Gesichtsfeldtest am Perimeter blickt sie in eine dunkle Halbkugelschüssel. Die kleinen grünen Punkte kommen von überall her, von oben und unten, rechts und links; nur sie sieht sie zu spät oder gar nicht. Auf dem Gesicht des sonst so freundlichen Mediziners gefriert das Lächeln und das lange Schweigen nach dem Test bedeutet nichts Gutes. Dann präsentiert er die bittere Wahrheit: „Sie haben Retinitis Pigmentosa, eine Erkrankung, die unweigerlich zur Erblindung führt und nicht heilbar ist.“
Diese Nachricht trifft Dörte wie ein KO-Schlag und sie will es nicht glauben. „Für mich gab es zwei Optionen: entweder ich werde nicht blind oder ich werde blind und bringe mich um.“ Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln kämpft sie gegen die drohende Erblindung, recherchiert alle Informationen zur Erkrankung, bittet Freunde um Unterstützung, sucht Alternativmediziner und Heiler auf. Schließlich setzt sie all ihr Erspartes für eine Reise in die USA und China ein, in der Hoffnung, das Schicksal abzuwenden.
Alles ist vergeblich! Die Chinareise bringt Dörte jedoch ein Stück mehr Seelenheil. „Wir haben dort das traditionelle Mondfest gefeiert, bei dem man Mondkuchen backt und die mit anderen teilt. Das war zunächst ein totaler Reinfall, weil keiner meine Mondkuchen teilen wollte. Aber dann hat es doch noch geklappt. Damals habe ich meinen größten Wunsch auf einem Zettel geschrieben. Ich wünsche mir immer jemanden, der meine Liebe braucht.“
Erst als Dörte erkennt, dass nicht die Umstände ihr Leben bestimmen, sondern ihre eigenen Träume und Ziele ihren Weg bereiten, ändert sich alles. Dörte akzeptiert ihre Erblindung und öffnet damit den Sehenden die Augen. Beim Format Dialog im Dunkeln wird sie Trainerin und entwickelt ein neues Coaching-Format für Teams und Führungskräfte. Mit diesem Format wird sie sogar zum Weltwirtschaftsforum nach Davos eingeladen. „Es war für mich fast unfassbar.“ Spannende Erkenntnisse gewinnt sie unter anderem in einer Trainingssituation, bei der sich Juden und Muslime in völliger Dunkelheit begegnen. „Manchmal schauen wir nur auf das, was wir sehen können und blicken nicht in die Herzen der Menschen. Wenn die äußerlichen Zeichen der Zugehörigkeit wegfallen, dann begegnen wir uns viel unbefangener.“
Inzwischen ist Dörte eine gefragte Moderatorin und Speakerin. Stimmungen im Publikum und zwischen ihren Gesprächspartnern nimmt sie viel intensiver war als Sehende. Als sie einmal eine politische Veranstaltung zum Bundesteilhabegesetz moderiert, weiß sie um die verhärteten Fronten. Es wird mit Worten scharf geschossen und sie tritt mit einer Schutzweste auf. Vor den verblüfften Teilnehmern legt sie die Kevlar Weste ab und erklärt, dass nicht Schutzpanzer sondern Dialog gefragt ist. Mit dieser Aktion schafft sie es sogar in die Tagesthemen des ZDF.
Auch in Lüneburg ist Dörte Maack keine Unbekannte. Bei der Leuphana Universität hat sie den MBA Studiengang für Nachhaltigkeitsmanagement mit einem Teamformat im Dunkeln unterstützt.
Ich frage Dörte nach ihren Zielen und Visionen. „Ach weißt du, ich bin gerade erst losgelaufen als selbständige Unternehmerin. Dass ich wieder auf der Bühne stehe, ist für mich schon ein kleines Märchen. Da möchte ich weitermachen.“
Dörtes Lebensweg hat ihr viele Erkenntnisse gebracht, wie man nach einem Schicksalsschlag wieder aufsteht. Und die gibt sie gerne an diejenigen weiter, die verzweifelt und entmutigt sind.
„Gib nicht auf, sondern probiere neue Wege aus und kämpfe, denn du kannst auch gewinnen, und auf diesem Weg lernst du neue Menschen kennen. Am Anfang ist es wirklich schlimm. Glaube an deine Träume und nicht an die Umstände. Das ist so wichtig. Du denkst vielleicht, du hast nicht genug Geld nicht genug Zeit, nicht genug Wissen. Und du willst immer wieder neue Voraussetzungen schaffen. Bleibe bei deinen Träumen, gegen alle Widerstände. Hole dir Hilfe. Frage die, die wissen, wie es geht. Alle, die etwas erreicht haben, sind Träumer, aber nicht alle, die was träumen, erreichen etwas. Man muss also etwas tun – banal, aber es stimmt!
Es gibt so einen schönen Spruch: Aus Luftschlössern können die Paläste der Erde entstehen. Du musst bauen und nicht nur träumen.“