Ein Unternehmerschiff im Fahrwasser von steigenden Kosten, Preisdruck und Wettbewerb zu führen ist eine große Aufgabe. Ungleich schwerer wird die Herausforderung, wenn das Schiff zu einem riesigen Unternehmenstanker mit einer Besatzung von mehr als 55.000 Mitarbeitern gewachsen ist. Dirk Roßmann zeigt wie es geht.
Ehrfürchtig betrete ich in Burgwedel die Kommandozentrale des Drogeriemarkt-Imperiums von Dirk Roßmann. Nach den üblichen Statussymbolen in Form von luxuriöser Inneneinrichtung oder großen teuren Autos vor der Tür suche ich hier vergeblich. Der Empfang beim Chef ist ausgesprochen freundlich, ja schon herzlich, obwohl wir uns zuvor erst einmal begegnet sind. Kein Problem! Ich starte meinen Fragenkatalog mit der frühen Kindheit und möchte wissen, was es bedeutet, wenn man als Zwölfjähriger seinen Vater verliert und schon so früh in der Verantwortung für seine Familie steht? „Es war nicht nur der Tod des Vaters. Die ganzen Lebensumstände haben mich geprägt. Ich wurde 1946 geboren und Hannover war zerstört. Die Menschen waren nicht gut drauf. Sie waren teilweise verzweifelt. Ich sah als Kind sehr viele Menschen mit einem Arm oder einem Bein. Da war keine Stimmung von Zuversicht, von Lebensfreude, von Leichtigkeit. Es war eher eine Stimmung, die wie ein Damoklesschwert schwer über den Menschen lag.“
Dirk Roßmann kommt aus sehr bescheidenen Verhältnissen. Bereits früh hat er die Herausforderungen des Lebens angenommen – und das ohne große Schulbildung. „Ich war kein sehr guter Schüler und ich habe nur Volksschule, wie man damals sagte. Mit vierzehn Jahren habe ich eine Drogistenlehre begonnen, mit siebzehn Jahren war ich fertig und stand mit meiner Mutter in unserem kleinen Laden. Die Mutter kränkelte, der Vater war tot, mein Bruder studierte. Die Großeltern väterlicherseits lebten auch von dem Geschäft.“
Abitur war damals nicht drin, allerdings war der junge Drogist schon immer von Neugier und Wissensdurst geprägt. „Ich habe schon mit vierzehn Jahren nicht die dümmsten Bücher gelesen. Also Schule war für mich nicht so das zentrale Thema, sondern das zu lernen, was mich interessierte. Und das war früh schon die Literatur.“
Den Grundstein für seinen unternehmerischen Erfolg legt Roßmann viele Jahre später im Alter von 25 Jahren. Am 17. März 1972 öffnet in Hannover der „Markt für Drogeriewaren“.
Tiefergehende Fragen zur Lebensgeschichte gehen ins Leere. „Herr Gast, das können Sie alles in meiner Biographie lesen!“ Und die liest sich enorm spannend und authentisch: „Und dann bin ich auf den Baum geklettert!“ lautet der Titel dieses empfehlenswerten Buches.
Zurück zur Gegenwart. Das Familienimperium Roßmann beschäftigt europaweit mehr als 55.000 Mitarbeiter in etwa 3.700 Filialen, davon macht Deutschland mit 2.150 Standorten den Löwenanteil aus. Entwicklungschancen im Drogeriemarkt sieht Roßmann kaum noch. „Der Markt ist konsolidiert. Es gibt nur noch vier Drogeriemarktunternehmen, wobei Müller eigentlich mehr ein Kaufhausunternehmen ist.“
Auf die Herausforderungen durch wachsende Online-Angebote hat der Branchenexperte ein klares Statement: „Natürlich gibt es Risiken. Das ist gar nicht auszuschließen, nur es gibt kein einziges Unternehmen, das mit Lebensmittel- und Drogerieartikeln im Onlinehandel Geld verdient, weil die Margen zu klein sind. Und die Kunden sind auch nicht bereit, höhere Preise zu zahlen.“
Wir wenden uns dem Thema Mitarbeiterführung zu. Die riesige Zahl an Mitarbeitern bedeute doch eine enorme Verantwortung, die auf den Unternehmerschultern liegt. „Nein, das ist überschaubar. Wir sind 55.000 Mitarbeiter in Europa und jeder hat ein Stück Verantwortung für die Firma und nicht ich allein. Wir teilen uns die Arbeit und wir teilen uns auch die Verantwortung. Natürlich habe ich schon in gewisser Weise eine große Verantwortung. Aber ich erlebe das so, dass die Gemeinschaft von Menschen, die bei Roßmann arbeiten, eine große Leistung erbringen.“
Die Geheimnisse erfolgreicher Führung? „Ich habe unendlich viele Psychologiebücher gelesen, ich habe Gruppentrainings gemacht, ich habe verschiedene Ausbildungen absolviert, beispielsweise in themenzentrierter Interaktion. Es sind wenige Dinge, die ich wirklich gelernt habe. Wenn Menschen etwas gemeinsam machen, dann ist eins unabdingbar: Das ist Vertrauen. Vertrauen entsteht durch Ehrlichkeit, durch Beständigkeit, durch Engagement, dadurch, dass man auch Interesse für den Anderen hat und zuhört. Wo Menschen Vertrauen haben, wird unglaublich gut gearbeitet.“ Dieses aufeinander hören findet sogar außerhalb der Unternehmensmauern statt. Dirk Roßmann bezeichnet das scherzhaft als „Management by Mittagessen“. „Wir gehen regelmäßig mit Mitarbeitern essen. Aber dann wird auch nicht über die Firma gesprochen. Das ist dann wirklich privat.“
Und das ist noch nicht alles. „Wir haben sehr viele Seminare für Mittelmamagent, für Topmanagement, wo es darum geht, wie kommuniziere ich, dass der andere nicht verletzt ist. So das Achtsamkeit und Respekt im Mittelpunkt stehen.“
Klingt nach einem idealen Führungsstil. Wird auch gelebt, was der Firmenchef preisgibt? Das konnte ich schon vor unserer Begegnung überprüfen. Bei einem Spiegelinterview in der Leuphana Universität, nutzte ich die Gelegenheit, um drei Lüneburger Filialmitarbeiterinnen über ihren Chef zu befragen. Mit leuchtenden Augen berichteten Lisa F., Kathrin K. und Yasmin W. über das angenehme Arbeitsklima, den wertschätzenden Umgang untereinander und die vielen Fortbildungsmöglichkeiten; sogar mit einem spendierten iPad. In den letzten vier Jahren hat das Unternehmen Warengutscheine im Wert von fünfzig Millionen Euro an seine Mitarbeiter ausgegeben.
Auf Statussymbole, wie teure Autos, steht der erfolgreiche Unternehmer gar nicht. Seinen Reichtum sieht man ihm nicht an. „Meine Frau sagt immer: Sag nicht reich, sag vermögend! Ein neues Auto kaufe ich mir alle acht Jahre. Ich will bequem von A nach B kommen. Neue Automodelle sind für mich völlig unwichtig, weil es nichts mit meiner Lebensfreude zu tun hat.“
Seine Steuern zahlt Roßmann konsequent in Deutschland und es ärgert ihn maßlos, wenn einige Unternehmen das nicht tun. „Jeder Arbeitnehmer zahlt Steuern, wenn man einen bestimmten Betrag übersteigt. Und deshalb ärgert es mich das auch so mit Amazon oder Google, oder wie die alle heißen. Riesenumsätze, Riesenprofit, aber hier kommt gar nichts an. Die nutzen auch unsere Infrastruktur. Amazon Produkte werden auf unseren Straßen ausgeliefert. Und wenn dem Fahrer was passiert, dann steht ja auch das Krankenhaus bereit – die ganze Infrastruktur. Aber was trägt Amazon dazu bei? Verdammt noch mal, wenn man in Deutschland Geld verdient, dann muss man dort auch Steuern zahlen.“
Unternehmerische Verantwortung endet bei Roßmann nicht bei den Steuern. Er engagiert sich in der deutschen Stiftung für Weltbevölkerung, dem deutschen Kinderhilfswerk und der Leselernhilfe. Ein Projekt liegt ihm besonders am Herzen. Klasse! Wir singen. „In den Schulen wird ja alles über die digitale Welt gelehrt. Aber dieses einfache miteinander singen ist ja auch ein Stück Freude. Kinder, die miteinander singen, die haben Spaß. Unsere Welt besteht nicht nur aus Lernen und Informationen, sondern aus sozialem Miteinander.“
Wie reich wäre unsere Gesellschaft, wenn wir mehr Unternehmer mit Verantwortung und Gespür für das soziale Miteinander hätten!